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3. Austrian Indian Tour 2009

Silvretta - Timmelsjoch - Stilfserjoch - 24.-28.06.2009

 

Ein Blick aus dem Fenster lies mich verzweifeln. Es waren noch vier Tage bis zum Beginn der Tour und es regnete in Strömen. In den Nachrichten überschlugen sich die Meldungen über steigende Pegelstände in Flüssen und Seen und immer neue, rekordverdächtige Niederschlagswerte wurden durchgegeben. Das dafür verantwortliche Schlechtwetterfeld stand über halb Europa und sollte Österreich mit seinem Zentrum erst gegen Ende der Woche, pünktlich zum Beginn unserer Ausfahrt, erreichen. Meine größte Sorge war aber gar nicht der Regen. Einige Streckenabschnitte der Route würden uns in Höhen über 2000 Meter führen und dort hätten wir dann mit Schnee zu rechnen... Eine Überfahrt mit Motorrädern würde dann unmöglich. In den Tälern traten teilweise Flüsse über die Ufer und machten die Durchfahrtsstraßen unpassierbar. Da es in Talböden oder an Paßüberquerungen aber keine Ausweichrouten gibt, waren plötzlich ganze Streckenabschnitte der Austrian Indian Tour gefährdet. Nach zwei Jahren der Planung und Vorbereitung auf die bisher schönste und anspruchsvollste Tour, machte ich mir zu diesem Zeitpunkt Gedanken über ein Ausweichprogramm, da die Streckenführung ein nur teilweises Befahren der Route unmöglich machte.

In den Abendnachrichten zwei Tage vor Beginn der Tour, dann die ersehnten positiven Meldungen. Der Höhepunkt der Schlechtwetterphase sei überwunden, die Wasserpegel blieben konstant, gegen Ende der Woche würde das Wetter deutlich besser. Noch immer stand allerdings der Schneefall auf den Paßhöhen drohend über uns. Alle paar Stunden kontrollierte ich die Schneelage der drei höchstgelegenen Paßstraßen über die dort installierten Internetkameras.

Bis einschließlich Mittwoch Morgen keine Schneefälle! Ich war erleichtert und es kam ein klein wenig Euphorie auf, als wir in Landeck dem Startpunkt unserer Rundfahrt bei trockenem Wetter ankamen. Als wir von der Schnellstraße kommend, auf die Hauptstraße des Ortes abbiegen wollten, donnerten zwei großvolumige Zweizylinder an uns vorbei... Burkhard und Time Schlüns die schon drei Tage früher in Landeck angekommen waren, hatten sich gemeinsam mit Peter Prill zu einer kleinen Ausfahrt entschlossen. Nun verfolgten wir die beiden Chiefs und hielten kurz darauf bei einer der nächsten Tankstellen an. Wir tankten unsere Motorräder voll und ich füllte die in unserem Kofferraum untergebrachten Kanister mit insgesamt 35 Litern Reservebenzin. Die letzten Kilometer bis zum Hotel nahm mich Peter auf seinem Sozius mit. Es ist immer wieder aufs neue überraschend, wie kräftig sich die 1200ccm entfalten, wenn man von einer Scout auf eine Chief umsteigt...

Als wir den malerisch gelegenen Tramserhof erreichten, waren alle meine Sorgen vergessen. Zu denen die schon vor uns angekommen waren, kam nun jede halbe Stunde ein weiterer Fahrer mit seiner Indian im Hotel an und die Gruppe wurde größer. Nicht ein Einziger zweifelte an unserem Glück und alle wären bereit gewesen auch bei vergleichsweise schlechtem Wetter zu fahren. Einer unserer Neuzugänge im Fahrerfeld, Alberto Haberler und seine Frau aus Italien, sorgten mit ihrer Ankunft noch einmal zusätzlich für die perfekte Verpflegung der Gruppe in den nächsten Tagen. Neben einer wunderbar restaurierten 1951er Roadmaster, holte Alberto italienisches Kaffeegebäck und kistenweise Prosecco und Bellini aus seinem Bus. Was will man da noch sagen? Hier noch ein weiteres Mal: "Gracie mille, Alberto e Elisabeth!!!"

Der Nachmittag verflog in großer Runde auf der Terrasse des Hotels. Als auch die letzten Fahrer eingetroffen und die Motorräder in der Garage untergebracht waren, traf man sich an der für uns gedeckten Tafel zum Abendessen.

 

1. Tag, Silvretta - Flexenpaß - Hahntennjoch

Schon während des Frühstücks am nächsten Morgen konnte ich unser Glück kaum fassen. Von unserem Hotel, das etwas oberhalb von Landeck lag, hatten wir einen weiten Überblick ins Tal. Unterbrochen von wenigen kleinen Wolkenfeldern, begrüßte uns der Tag mit Sonnenschein und blauem Himmel. Nach dem wir uns gestärkt hatten, ging es auf den Parkplatz. Das Gepäck wurde verstaut, die letzten Handgriffe erledigt und nachdem ich die 3.Austrian Indian Tour mit einigen Worten eröffnet hatte, starteten wir die Motoren. Gleich von Beginn an hatte ich, soweit wie möglich, die Route abseits der großen Durchzugsstraßen geplant und so fuhren wir schon nach wenigen Kilometern die ersten Spitzkehren weit oberhalb des Talbodens. An der berühmten Trisanna Eisenbahnbrücke bogen wir ins Paznauntal und näherten uns in weiten Kurven unserem ersten Ziel der Bielerhöhe. Auf dem Weg dorthin blieb uns das Wetter treu und wir genossen die Landschaft die vorbeiflog. Nach der Mautstelle grasten Kühe am Straßenrand und zeigten auch direkt auf der Straße stehend, wenig Interesse an unseren Motorrädern. Wir verzichteten aber gerne auf unseren Vorrang und ließen den Kühen ihren Willen. An der Bielerhöhe angekommen legten wir die erste Pause ein. Etwas später nahmen wir die engen Kehren der Silvrettastraße in Angriff und genossen zum ersten Mal auf dieser Tour den Takt aus Rechts und Linkskurven. Im Tal angekommen trafen wir dann Thomas Dengg mit seiner 1929er Scout. Da er die Silvretta sein Hausrevier nennt, hatte er auf die Anfahrt nach Landeck verzichtet. Mit 2 Vierzylindern, 5 Chiefs, 2 Scouts und insgesamt 14 Personen war die Gruppe nun komplett. Abseits der Arlberg Schnellstraße folgten wir dem Weg weiter auf einer wenig befahrenen Nebenstraße, um erst kurz vor der Auffahrt zum Flexenpaß auf die Hauptstraße zu wechseln. Zu diesem Zeitpunkt wurden die Getriebegeräusche am Chiefgespann immer lauter, was uns schließlich zu einem Stop veranlasste. Da die Funktion des Getriebes nicht eingeschränkt war und auch sonst kein Grund für die Geräusche zu erkennen war, gaben wir dem Gespann ein wenig Zeit abzukühlen und setzten danach unsere Fahrt fort.

Auch wenn ich die Strecke schon einige Male gefahren bin, ist man von der Flexenstraße immer wieder fasziniert. Erreicht man die südliche Auffahrt, liegt der atemberaubendste Teil der Straße etwas oberhalb voraus. Direkt in die senkrechte Felswand, hatte man ab 1895 die Straße in den Fels gesprengt und Brückensegmente in die Senkrechte gebaut. Noch ausgesetzter kann eine Straße nicht angelegt sein. Die zunächst gänzlich offene Straßenführung wurde 1948 mit Verbauungen überdacht, da bis zu diesem Zeitpunkt Stein- und Schneelawinen die Straße gefährdeten.

Nach der Durchfahrt der Verbauungen an der Flexenstraße fing es zum ersten Mal zu regnen an. Ein Blick auf meine Uhr zeigte, daß es außerdem Zeit für eine Mittagsrast war. Als das "Flexenhäusl" am Farbahnrand auftauchte, zögerte ich nicht lange und bog mit meiner Scout auf den Parkplatz ein. Obwohl ich nur auf einen kleinen Imbiss gehofft hatte, überraschte uns die Hütte mit ausgezeichneter, österreichischer Küche. Eine Stunde später hatte der Regen ein wenig nachgelassen und wir setzten unsere Fahrt fort. Wir durchfuhren den bekannten Wintersportort Lech und arbeiteten uns weiter Richtung Sattelhöhe vor. Der Regen war nun wieder etwas stärker und auf der sehr kurvigen, engen Straße war kein zügiges Fahren mehr möglich. Als wir bei Warth ins Nachbartal abbogen hatten wir aber das schlimmste Wetter hinter uns gelassen und schon bald war die Straße wieder trocken. Die Kurven wurden weiter und mit dem gestiegenen Tempo wurde das Feld ein wenig in die Länge gezogen. Auf gut einsehbaren Geraden verlangsamte ich das Tempo und wenn hinter mir die Gruppe zu sehen war, setzte ich die Fahrt bei höherer Geschwindigkeit fort. Vor dem Hahntennjoch wollte ich unbedingt nochmals tanken und so hielten wir bei nächster Gelegenheit. Als fast alle an der Tankstelle angekommen waren, fiel mir auf das Dorit mit dem Abschleppauto und Burkhard mit dem Chiefgespann fehlten. Per Telefon erfuhr ich, das die Probleme mit dem Getriebe größer geworden waren und die Chief nun sicherheitshalber abgestellt war. Obwohl mein Motorradanhänger grundsätzlich nicht für Gespanne geeignet ist, wurde eine Möglichkeit gefunden das Gespann aufzuladen und zu transportieren. Dorit kehrte mit dem Auto zu Burkhard und Time zurück und die restliche Gruppe setzte die Fahrt fort.

Obwohl ich ein Jahr vor der Austrian Indian Tour die komplette geplante Strecke mit dem Auto abfahre, mir Notizen mache, Tankstops festlege und die Hotels in denen übernachtet wird teste, hatte ich das auf dem relativ kurzen Streckenabschnitt des Hahntennjochs ausgespart... Schon auf den ersten Kilometern wartete so die eine oder andere Überraschung auf mich. Die Strecke war deutlich anspruchsvoller als erwartet, die Straße weit spektakulärer in den Berg gebaut. Als wir das Talende erreicht hatten und das eigentliche Joch vor uns lag, erfuhren wir, daß die Straße wegen der vorausgegangenen Regenfälle aus Sicherheitsgründen gesperrt war. Ein Umweg von fast 80 Kilometern wäre die Folge gewesen und wir mit unseren Motorrädern in die Abendstunden geraten. Da uns aber noch regelmäßig Verkehr entgegenkam, entschlossen wir in der Gruppe, die Fahrt fortzusetzen.

Das Hahntennjoch selbst war atemberaubend. Die Straße eng, frei in senkrechte Felswände, Geröll- und Schutthalden gebaut. Hinter der oft unterbrochenen Leitplanke, ging es teilweise hunderte Meter in den Abgrund. Mit viel Respekt zog das Fahrerfeld weiter und stieg bei stellenweise heftigem Gefälle weiter ins Tal ab. Nach diesen Eindrücken kann ich nur sagen: Das Hahntennjoch, wie von mir erwartet und nicht weiter überprüft, als Nebenstück der Tour zu bezeichnen, war definitiv eine falsche Einschätzung. Vielmehr war sich die Gruppe, als wir wenige Kilometer später unser Ziel, das Hotel Lamm in Tarrenz erreichten einig, daß dieser Teil der Strecke zu den attraktivsten und spektakulärsten an diesem Tag gezählt werden muß. Nachdem die Motorräder in der Garage des Hauses untergebracht waren und nur eine halbe Stunde nach uns auch das Abschleppauto mit dem Chiefgespann eingetroffen war, bezogen wir müde aber begeistert von den Erlebnissen des Tages die Zimmer. Vor dem Essen genossen wir noch den von Alberto mitgebrachten Prosecco, um wenig später von Küche und Service des Hotel Lamm vom Feinsten verwöhnt zu werden. Burkhard hatte sich das Essen entgehen lassen und währenddessen seine Chief versorgt. Für ihn und seine Frau bereitete die Küche dann noch eine reichhaltige Brettljause vor. Einige aus unserer Gruppe bevölkerten mittlerweile die Bar des Hauses, wo die Letzten noch um halb zwei Uhr Morgens gesehen wurden...

 

       

 

2. Tag, Ötztal - Timmelsjoch - erste Kehren des Stilfserjochs

Nach dem Frühstück ging es um etwa 8.30h los und wir fuhren auf weitläufigen Straßen zur Einfahrt ins Ötztal. Ich hatte mir eine etwa 7 Kilometer lange Abweichung von der eigentlich geplanten Strecke vorgenommen. So bogen wir von der Hauptroute in ein kleines Dorf ab, überquerten eine einspurige Holzbrücke und zogen auf einer verwinkelten Straße zwischen den Bauernhöfen den Berg hinauf. Hier war die Zeit stehengeblieben. Nichts erinnerte an die heutige Zeit, keine Autos, keine modernen Häuser. Hinter einem der letzten Höfe des Ortes, bogen wir in den Wald ein. Die Straße wurde nochmals schmäler, der Belag war nun gesandeter, alter Asphalt, der Wald wurde noch dichter. Genau in der Sekunde als ich anhand der Beschaffenheit des Wegs zu zweifeln begann, ob wir weiterfahren sollten, wurde die Straße wieder breiter und war frisch geteert. Kurz darauf durchfuhren wir noch eine verträumte Ortschaft, um wenig später auf die Bundesstraße zurückzukehren. Ein kurzer Ausflug in eine andere Zeit!

Auf der nahezu geraden Ötztalstraße forcierte ich das Tempo und wir legten zügig Kilometer zurück. Während der Ortsdurchfahrten hielt ich mich an die vorgeschriebene Geschwindigkeit, auf offener Landstraße lies ich meine Indian zwischen 70 und 80 Stundenkilometern pendeln um auf Dauer nicht zu viel Drehzahl anzulegen. Auch wenn meine Scout mit einem 23er Kettenritzel vorne, so lang wie technisch möglich übersetzt ist, liegt im dritten Gang ungefähr die Drehzahl an, die bei gleicher Geschwindigkeit mit einer Chief im zweiten Gang erreicht wird. So lief bei dieser Fahrweise alles wunderbar. Als ich jedoch nach einem Streckenabschnitt mit niedrigerer Geschwindigkeit den Gasgriff ganz Richtung Offen drehte um wieder Fahrt aufzunehmen, hörte ich ein zwitscherndes Pfeifen unter mir. Mein erster Gedanke war ein noch laufender Kolbenreiber und ohne lange nachzudenken fing ich an, mit der Handpumpe zusätzliches Öl aus dem Tank ins Kurbelgehäuse zu pumpen. Außerdem hatte ich im Dritten Gang bleibend die Geschwindigkeit stark reduziert. Als ich die Kupplung durchtrat und der Motor ohne Probleme auf die Leerlaufdrehzahl ging, wußte ich zumindestens, daß es kein Kolbenreiber sein konnte. Das Geräusch das der Motordrehzahl folgte, hörte allerdings nicht auf. Wenige hundert Meter weiter war eine Abfahrt von der Hauptstraße auf den Hof eines Autohauses, auf dem ich meine Scout mit laufendem Motor abstellte. Nachdem ich abgestiegen war, genügte ein Blick auf den vorderen Zylinder um den Fehler zu finden. Die Metallschicht der Zylinderkopfdichtung stand unter dem Zylinderdeckel auf einer Länge von 3cm hervor und war bereits komplett durchgeblasen. Die Ersatzteile die man braucht, läßt man bekanntlicherweise grundsätzlich zu Hause... So war es auch mit meinen Kopfdichtungen. In der Werkstatt des Autohauses fragten wir dann noch nach Dichtungsmaterial, daß sich für meine Zylinderkopfdichtung eignen hätte können. Leider ohne Erfolg. Ohne länger Zeit zu verlieren, luden wir mein Motorrad auf den Anhänger. Dankenswerterweise überlies mir Time ihren Platz im Bewagen an Burkhards Chief, die nach der nächtlichen Reparatur wieder anstandslos ihren Dienst tat. Die Fahrt konnte weitergehen.

Nachdem wir das etwa 60km lange Ötztal durchfahren hatten, kamen wir an den Beginn der Timmeljochstraße wo uns Attila Scheiber, der Besitzer der Paßstraße und des Schigebiets Obergurgl-Hochgurgl begrüßte. An der Mautstation durften wir frei passieren und machten eine kurze Pause die Attila nutzte, um sich unsere Motorräder näher anzuschauen. Bei diesem Halt traf Horst mit seiner Four das Pech. Beim wahrscheinlich bestvorbereiteten Motorrad der Gruppe, lies sich plötzlich die Kupplung nicht mehr betätigen. Horst fuhr im ersten Gang, der noch eingelegt war, vor und erreichte noch die Sattelhöhe der Timmelsjochstraße. Eine Weiterfahrt war aber ausgeschlossen und so luden wir auch sein Motorrad auf. Jetzt waren beide Plätze auf dem Hänger belegt. Wäre nun ein weiteres Motorrad ausgefallen, hätten wir improvisieren müssen.

Auf der Paßhöhe überquerten wir die österreichisch - italienische Grenze und nahmen die Fahrt wieder auf, um einen der malerischsten Streckenabschnitte der ganzen Tour zu befahren. Vom hochalpinen, felsigen Gelände mit Schnee und Eislage, wechselt man nach unzähligen Kurven in eine Höhe mit Almen und niedriger Vegetation. Wieder einige hundert Höhenmeter tiefer schießt das Motorrad an hochstehenden Wiesen und dichten Waldstücken vorbei. Immer wieder fordern enge Tunneldurchfahrten die ganze Aufmerksamkeit des Fahrers, fast am Ende der Paßstraße angekommen, riecht es intensiv nach dem Harz der haushohen Tannen am Straßenrand.

Burkhard und ich in seinem Beiwagen, genossen jeden Meter der rasanten Abfahrt. Wie man es sonst eigentlich nur auf Renngespannen macht, kletterte ich in Linkskurven weit aus dem Beiwagen und hielt mich nur mehr mit einem Arm an der Karosserie des Bootes an, um mich in Rechtskurven auf den Gepäcksträger der Chief zu legen. Burkhard vertraute meiner Technik nicht gleich von Beginn an, als er aber merkte das ich es ernst meinte und mich sicher auf seinem Gespann bewegte, gab er bergab deutlich mehr Gas und legte sich ebenfalls gewagt in die Kehren. In Innenkurven flog ich nun dicht über der Straße dahin, während ich in Außenkurven oft außen an Burkhard vobeischauen mußte, um mich auf die nächste Kurve vorzubereiten. Während dem nächsten Halt, attestierten uns sogar die sportlichsten Fahrer im Feld, daß sie dem von uns gefahrenen Tempo nicht folgen konnten...

Während der Mittagspause in St. Leonard am Ende der Paßstraße, machte ich mich auf die Suche nach geeignetem Material für meine neue Zylinderkopfdichtung. Von einer Tankstelle bei der wir gefragt hatten, wurde ich zum Schmied geschickt, der mich seinerseits weiter zum Schlosser schickte. Mit der Vierzylinder von Manfred fanden wir nach einigem Suchen die Werkstatt und ich kaufte eine Tafel 0,8mm starkes Kupferblech...

In der Ebene nach Meran hieß es nun wieder "Kilometer machen". Ich hatte in den Beiwagen von Manfred Fetscher und seiner Four gewechselt und wir gaben ein recht hohes Reisetempo vor. Immer wieder drehte ich mich im Boot um und beobachtete die anderen Indians, wie sie durch die Kurven pendelten. Da die Ebene im Tal Richtung Reschenpaß außer sehr schönen Fernblicken nur relativ dichten Verkehr zu bieten hat, hielten wir uns nicht länger auf und bewältigten die 50 Kilometer ohne weiteren Stop. In Spondinig, wo wir Richtung Stilfserjoch abbogen, wartete die Frau von Horst mit dessen VW Bus und wir luden seine Vierzylinder um. Horst entschied sich in Landeck, am Endpunkt der Tour, auf uns zu warten.

Einige Kilometer später verdunkelte sich der Himmel. Aus den Bergen vor uns, schoben sich dichte Wolken ins Tal und schon wenige Minuten später fuhren wir im Regen. Zu unserem Tagesziel, dem Berghotel Franzenshöhe auf 2188 Metern am Rande der Paßstraße, waren es nur mehr zehn Kilometer und etwa 20 Spitzkehren, dem Anfang der Stilfserjochstraße. Nach der Ankunft am Hotel drängte sich die Gruppe mit den Motorrädern unter ein Vordach neben dem Haus. Knapp fanden alle Motorräder Platz im Trockenen. Nur ich selbst war nach den Anstrengungen des Tages, dem Neuorganisieren in nicht vorhersehbaren Situationen, dem Ausfall meiner eigenen Scout und der Four von Horst, zu kraftlos um noch mehr zu tun. Meine Scout blieb am Anhänger im Regen stehen. "Das ist ein Motorrad, das schadet nicht..." dachte ich laut. Ich hatte nur mehr Lust auf ein kühles Bier, eine erfrischende Dusche und später, auf ein reichhaltiges Abendessen. Schon nach den ersten beiden Schritten des, sich wieder Sammelns, ging es mir schon wieder deutlich besser und so ging ich hinunter in den Speisesaal...

Wie uns die Küche und der Service des Berghotels dann verwöhnte, muß erwähnt werden: Neben einem reichhaltigen und vor allem frischen Salatangebot, gab es Vitello Tonnato, gegrilltes Gemüse und frisches Brot zur, wohlgemerkt kalten, Vorspeise. Als warme Vorspeise servierte man eine ausgezeichnete Pasta mit Sahnesauce und wildem Schnittlauch. Die Fenchelsuppe mit Kürbiskernöl würde von einem zarten Rindsgulasch mit Polenta als Hauptgang gefolgt. Zum Abschluß gab es noch ein wunderbares, gefülltes Törtchen, auf einem Spiegel aus Waldbeeren. Ein Traum! Auch sonst ist das Hotel nur wärmstens zu empfehlen. Die Einrichtung ist gewollt einfach und mit soviel Liebe zum Detail aufgewertet, daß man sich sofort in jedem Zimmer und jedem Bereich des Hauses wohl fühlt. Das Team um Karin Wallnöfer hat uns jeden Wunsch von den Augen abgelesen und uns bewirtet, als wären wir seit Jahren Stammgäste. Nochmals vielen, vielen Dank!

Nach dem Abendessen schaute mich Burkhard ernst an. Ich schaute fragend zurück und mit einem Kopfnicken zum Parkplatz hin, stand er auf und sagte: "Wir haben noch Arbeit." Nachdem wir meine Scout abgeladen hatten, machten wir uns etwas Platz unter dem Vordach, wo die anderen Motorräder abgestellt waren. Der Zylinderkopf war schnell abgenommen und die alte Dichtung diente als Vorlage zum Anzeichnen auf dem Kupferblech. Mit unglaublicher Beharrlichkeit arbeitete Burkhard an der neuen Dichtung. Ich, war eigentlich nur mehr Zuschauer. Mit großteils völlig unzureichendem Werkzeug schaffte er es trotzdem in etwa zwei Stunden, eine mehr als brauchbare Dichtung aus dem rohen Blech zu schneiden, die dann noch in der Küche des Hotels ausgeglüht und später eingebaut wurde. Auf einen Probestart des Motors verzichtete ich um zwei Uhr Morgens... Aber mit jetzt wieder voller Kompression, konnte der Motor ja in Wirklichkeit gar nicht anders, als anspringen. Als ich am nächsten Morgen hinausging und den Kickstarter fest nach unten trat, lief die Scout nach dem zweiten Versuch.

 

   
   
   

 

3. Tag, Stilfserjoch - Passo d´Eira - Ofenpaß - Reschenpaß

Vor der atemberaubenden Kulisse des Stilfserjochs, machten wir kurz vor dem Start am nächsten Tag noch ein Gruppenfoto. Selbst unter Fahrern moderner Motorräder gilt das Bewältigen dieser Bergstraße als Ritterschlag und so konnte keiner von uns seinen Stolz verbergen, diese letzten Kehren hinauf zum Paß auf Motorrädern zu fahren, die aus den 20er, 30er, 40er und 50er Jahren stammten. Umso näher man dem Bergsattel kommt, umso enger werden die Kehren, die Straße verläuft extrem steil. So arbeiteten wir uns immer höher hinauf. Die Motorleistung ließ auf Grund der dünner werdenden Luft immer mehr nach, auf einer Höhe von 2757 Metern wie am Stilfserjoch, steht gefühlt noch ungefähr die Hälfte der Kraft des Motorrades in der Ebene zur Verfügung. Doch allen Hindernissen zum Trotz, erreichten wir wenig später den höchsten Punkt des Jochs. Der zweithöchste Paß, der mit dem Motorrad oder dem Auto in Europa erreicht werden kann, war bezwungen!

Nach einem kurzen Halt und einigen Fotos fuhren wir weiter und stiegen über die Westseite des Berges ins Tal ab. Nach einer kurzen Hochebene folgten einige unglaublich dichte Spitzkehren, die in eine nicht enden wollende Aneinanderreihung von Tunneln und Hangverbauungen weiterführte. Die teilweise stockdunklen Durchfahrten forderten ein weiteres Mal unsere volle Konzentration. Kurve um Kurve steuerten wir unsere Indians dem Tal entgegen. Kurz vor der Abzweigung Richtung Passo d´Eira bremste ich das Feld in einer Haltebucht ab, um den Fahrern und den heißen Bremsen eine kurze Pause zu gönnen.

Wenig später setzten wir unsere Fahrt fort und näherten uns dem Passo d´Eira. Auf dieser Straße warteten gleich mehrere Besonderheiten auf uns. Erstens, durchfährt man Trepalle (2069m), das höchstgelegene, dauerhaft bewohnte Dorf Europas. Zweitens, war dieses Dorf die Gemeinde von Priester Don Alessandro Parenti dem Vorbild für die Buch und Filmfigur Don Camillo, dem Gegenspieler von Bürgermeister Beppone. Don Alessandro Parenti erbaute 1930 nicht nur eine Volksschule, sondern lies auch noch Telefonleitungen verlegen und eine Tankstelle errichten. Dinge die zu dieser Zeit nicht einmal unten in den Tälern selbstverständlich waren. Während unserer Mittagsrast besuchten dann einige aus unserer Gruppe die Kirche des Ortes, in der Don Parenti gewirkt hatte. Und Drittens, liegt Trepalle in einer zollfreien Zone und der Liter Benzin kostete an der Tankstelle gerade mal 65 Cent. Wir tankten unsere Indians bis zum Rand voll!

Unzählige Kehren später näherten wir uns dem Talboden um Livigno. Direkt nach der Ortsausfahrt beginnt eine 7 km (!) lange Hangverbauung die dem Ufer des Livigno Stausees folgt. Wir drehten kräftig an unseren Gasgriffen und ließen im Widerhall der Tunnelwände die Motoren sprechen. Nach der Überfahrt auf der Krone des Staudamms entstand eine kleine Wartezeit. Der 3,5 Kilometer lange Tunnel, der in der Schweiz endet, ist nur einspurig und daher nur wechselweise von beiden Seiten zu befahren. Als wir an der Reihe waren, genossen wir ein weiteres Mal den satten Klang unserer Motorräder, in der nur 3,5m im Durchmesser breiten Tunnelröhre. Nun auf Schweizer Boden fahrend, überquerten wir wie im Vorbeigehen den Ofenpaß. Auch hier wechselte die Vegetation mit jedem Kilometer. Trockene Flußläufe, und felsige Hänge wurden von Kiefernwäldern unterbrochen, um später satten Wiesen und Laubbäumen Platz zu machen.

Eigentlich konnte uns jetzt nichts mehr aufhalten. Alle Motorräder liefen problemlos und nachdem wir an diesem Tag schon relativ oft angehalten hatten, entschloss ich mich, die Gruppe in hohem Tempo dem Tagesziel näher zu bringen. So legten wir über den Reschenpaß, 80 Kilometer ohne jeden Stop zurück. Vom höchsten Punkt des Sattels hatten wir nochmals einen wunderbaren Fernblick zurück in Richtung der Ortlergruppe. Erst in Graun am Ufer des Reschensees bremste ich meine Scout auf einem Parkplatz ab und sorgte für eine letzte Rast um auf eine weitere Sehenswürdigkeit hinzuweisen. Nach dem Bau der Staumauer 1950, begrub das steigende Wasser des Reschensees, die alte Ortschaft Graun und die Gemeinde mußte umgesiedelt werden. Aus Sicherheitsgründen wurden von den Behörden sämtliche Häuser des alten Dorfs abgerissen, nur den Turm der Kirche lies man stehen. Dieser ragt bis Heute aus dem Wasser und ist zum Wahrzeichen geworden. Da er zur Zeit restauriert wird, steht der Wasserspiegel etwas tiefer, und der Turm am Trockenen. Nach einem allerletzten Tankstop waren es jetzt nur mehr etwa 45 Kilometer bis zum Ende der Runde. Nach kurzer Fahrt auf österreichischem Boden, wechselten wir bei Nauders nochmals in die Schweiz um die letzten Haarnadelkurven dieser Tour zu fahren. Die restliche Strecke legten wir zügig zurück und verlangsamten unsere Fahrt erst kurz vor Landeck. Auf den letzten Kilometern hörte ich, bei niedriger Drehzahl, meinem Motor zu und war froh, daß die 3.Austrian Indian Tour so wunderbar verlaufen war.

Nach einer kurzen Ortsdurchfahrt, ließen wir Landeck unter uns und brachten die letzten hundert Höhenmeter bis zum Hotel, durch den Wald fahrend, hinter uns. Vor dem Hotel stellten wir unsere Motorräder zum Gruppenfoto auf, und genossen bei Bier und Sekt unseren Erfolg.

Nach einem abermals ausgezeichneten und reichhaltigen Abendessen, dem ein Bellini aus den Beständen von Alberto vorausging, feierten wir noch den Geburtstag von Karla und ich erlaubte mir, die Fahrer die zum dritten Mal an der Austrian Indian Tour teilnahmen, auszuzeichnen. Peter brachte bei einem kleinen Teilebazar noch Indian Ersatzteile unter die Fahrer und der Originalfilm über Burt Munro "Offerings to the God of Speed" aus dem Jahr 1971 wurde vorgeführt.

Nach einem langen Abend und einer erholsamen Nacht, brach die Gruppe am nächsten Vormittag in alle Himmelsrichtungen auf, um die Heimreise anzutreten. Spätestens in zwei Jahren werden wir uns wiedersehen, wenn es im Sommer 2011 heißt: 4.Austrian Indian Tour, Wachau - Neusiedlersee - Wienerwald.

 

     

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